Auf Umwelt fokussiert
Die neuen Preisträger des IGORA Umweltpreises engagieren sich aussergewöhnlich für eine saubere Umwelt. Sie geben alles, damit Wertstoffe im Kreislauf bleiben und Ressourcen gespart werden.
Simon Reiss: der neunzehnjährige sammelt für eine saubere Umwelt
Als Simon Reiss auf dem Veloweg nach Hause fährt, wird er zum Nachtessen erwartet. Er ist spät dran. Im Gebüsch sieht er Abfall liegen. Eine weggeworfene Getränkedose, dann noch eine, später eine PET-Flasche. Der Teenager ärgert sich. Heute lacht er darüber. Dieser Ärger sei noch immer seine Motivation. Reiss hat damals angehalten und die Abfälle eingesammelt. Seither sind fast fünf Jahre vergangen. Abfallsammeln ist zum Hobby geworden.
Simon Reiss, der in der Ausbildung zum Kinderbetreuer steht und später Rettungssanitäter werden möchte, bleibt nicht viel Zeit für anderes. Sogar beim Schnorcheln und Tauchen sammelt er Abfälle ein. Ungefährlich ist sein Hobby nicht. Immer wieder schneidet sich Reiss an Glasscherben und Metalldosen oder beklagt einen platten Reifen am Velo, wenn er auf Abfalltour ist. Weggeworfenes findet Simon Reiss entlang von Strassen und Wegen, aber auch in Fluss- und Bachbetten. Er verzichtet bewusst darauf, Abfälle in öffentliche Eimer zu entsorgen. Die sollen nicht durch ihn gefüllt werden. Er bringt selbst Abfallsäcke mit. Abfälle und Wertstoffe entsorgt er später getrennt. Bei E-Trottinetts, die in Flüssen oder Seen gelandet sind, informiert er die Betreiber über die Fundstelle. Es kann vorkommen, dass er Deliktsgut findet, wie Plastikkarten, die wahrscheinlich von Portemonnaie- oder Handtaschendiebstählen stammen. Dies bringt er zur Polizei oder, wie eingesammeltes Eigentum, etwa Sonnenbrillen, ins Fundbüro.
Sein Tun fällt auf. Beim Abfallsammeln, das er manchmal mehrmals wöchentlich betreibt, kommt er ins Gespräch und erfährt Lob für sein Engagement. Ertappt Simon Reiss hingegen Abfallsünder*innen, erntet er meist nur Schulterzucken oder wird ausgelacht. Längst hat Simon Reiss sein Hobby über seine Wohngegend hinaus ausgedehnt. Und er sammelt auch spontan. Kürzlich stand er in Bern auf der Untertorbrücke und betrachtete die Altstadt. Den Anblick konnte er geniessen, bis er im Fluss ein Velo entdeckte. Minuten später stand er in der Aare.
Robert Peterhans: Seine Laufgruppe «Züri rännt» räumt beim Plogging auf
Handschuhe braucht’s. Sonst sind keine Voraussetzungen nötig. Man muss keine Sportskanone sein, um Ploggen zu können. Robert Peterhans, PR-Fachmann und Initiator der Laufgruppe «Züri rännt», wurde vor fünf Jahren auf Plogging aufmerksam. Der Schwede Erik Ahlström nervte sich über Abfälle entlang seiner Laufstrecke in Stockholm und begann sie einzusammeln. Seine Bewegung hat weltweit engagierte «Mitläufer» gefunden.
Das Wort Plogging setzt sich zusammen aus dem schwedischen Begriff «plocka» für aufheben, pflücken und Jogging. Das Plogging der Laufgruppe Züri rännt finden monatlich statt. Zwischen fünf und zwanzig Mitläufer*innen sind dabei. Überraschend hoch, sagt Robert Peterhans, sei der Anteil junger Menschen, die etwas für ihre Fitness tun und dabei die Umwelt von Weggeworfenem befreien wollen. Beim Plogging wird ein Abfallsack mitgeführt. Sachgerechte Recycling betrachtet Peterhans als wichtigen Aspekt des Ploggings. Bereits unterwegs wird getrennt; Glasflaschen, Alu-Dosen und Metallstücke. Sie werden in Sammelstellen abgegeben, gefundene PET-Getränkeflaschen in die bekannten Sammelboxen gesteckt. Restlicher Abfall landet im Züri-Sack.
Robert Peterhans sorgt mit Ploggingstrecken durch verschiedene Stadtquartier für Abwechslung für seine Läufer*innen. Natürlich spiele bei der Streckenwahl auch eine Rolle, wie viel Weggeworfenes zu erwarten sei. «Nach dem Ausgang am Wochenende ist unsere Ausbeute deutlich grösser als unter der Woche.» Eine intakte Umwelt sei Läufer*innen wichtig und Plogging somit ein ideales Engagement für Bewegungsmenschen. Bei ihren Einsätzen kommen die Plogger*innen öfter mit Passanten ins Gespräch und stellen fest, dass die Sorge um die Umwelt viele beschäftige und es wohl Anstrengungen bei der Abfallvermeidung brauche. Die Abfallbeseitigung sei gut organisiert, findet Robert Peterhans, ergänzt durch die vielen freiwilligen Abfallsammelgruppen, die überall in der Schweiz unterwegs sind.
Matthias Ardizzon: Abfalltaucher räumen unter Wasser auf
Taucher*innen in voller Montur, die mit Flaschen und Bleiplatte gute dreissig Kilo wiegt, stehen im Halbkreis. Matthias Ardizzon, selbst Taucher und seit 2018 Präsident des Vereins Abfalltaucher, instruiert: tauchen immer zu zweit, Vorsicht vor Schiffsverkehr, Tauchtiefe nicht mehr als fünf Meter. Alle kennen sich, sind zertifiziert und nicht zum ersten Mal dabei.
Der Verein Abfalltaucher absolviert zwölf bis 14 Cleanups pro Jahr, ihm gehören über 100 Mitglieder an, Alter zwischen 10 und 80 Jahren. Über ein Dutzend ist dabei, sich das Hafenbecken vorzunehmen. Hier verkehren Privatboote, Ausflugsschiffe und Pedalos. Die Sicht unter Wasser ist schlecht. Eine Boje zeigt an, wo sich die Taucher*innen vorwärtstasten. Gespenstisch blitzen die Lichtkegel der Taschenlampen über den Hafengrund. Das Landteam auf dem Einsatzboot hält Ausschau. Schon taucht einer auf und hievt seine Ladung ins Schiff. Glasflaschen und Alu-Getränkedosen fallen aus dem Netzkorb. Auch andere Taucher*innen sind fündig geworden. Das Einsatzboot kreuzt durch den Hafen, um getauchtes Sammelgut aufzunehmen. Ein Sonnenschirmständer, noch mehr Glasflaschen, Champagnerkelche aus Plastik und immer wieder Alu-Getränkedosen. Matthias Ardizzon, über Funk mit dem Geschehen im Hafen verbunden, erklärt, dass die Wertstoffe an Land sachgerecht getrennt und einer Recyclingstelle zugeführt werden.
Er investiert einen grossen Teil seiner Freizeit und seiner Ferien ins Abfalltauchen. Zum Vergnügen tauche er auch, sagt er, nur leider finde er bei seinen Tauchgängen überall auf der Welt Dinge, die nicht in einen See oder ins Meer gehörten. Er sammelt sie nach Möglichkeit ein. Die Auswirkungen von Plastik, das mikroskopisch klein geschreddert ähnlich wie Plankton aussieht, macht ihm Sorgen. Die Gefahr für Fische und Meeressäuger sei bekannt. Über Funk kommt die Meldung, dass eine Tasche gefunden wurde, darin Schmuck, ein Portemonnaie und sogar kleine Goldbarren. Matthias Ardizzon ruft informiert die Polizei. Auch solche Funde haben ihren Reiz beim Abfalltauchen.
Lars, Lukas, Oliver, Sven und Tim: Viert- und Fünftklässler fötzeln im Dorf
Das Wetter ist trüb an diesem Sonntag. Der Stimmung der fünf Jungs kann das nichts anhaben. Sie sind gut ausgerüstet mit Abfallsack und Greifzangen. Gerade streifen sie sich, ganz Profis, die Handschuhe über, die sie vor Glasscherben schützen sollen, und damit es nicht so eklig ist, wie sie erklären. Los geht’s. Zigarettenkippen, Plastikbecher, aber auch Konfetti, wo man hinsieht. Die Fasnacht, für die Hägglingen in weitem Umkreis bekannt ist, liefert den Jungs so manche Hinterlassenschaft, die gewissenhaft eingesammelt und später getrennt entsorgt werden wird.
Dass die fünf Freunde auf Fötzeltour gehen, nahm seinen Anfang vor knapp einem Jahr. Damals stellten die Viert- und Fünftklässler fest, dass es entlang ihrem Schulweg immer mehr Abfall gab. In einem Brief schlugen sie dem Gemeindeamman vor, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Denn, so sagen die Jungs lautstark und einstimmig: «Reden kann jeder, aber das macht unseren Schulweg nicht sauber.» Die Gemeinde lieferte gern die nötige Ausrüstung. Seither sind Lars, Lukas, Oliver, Sven und Tim einmal im Monat auf Tour. Am Anfang haben sie auf ihrem Schulweg Abfall eingesammelt, später ihren Aktionsradius aufs ganze Dorf ausgedehnt.
Am häufigsten finden sie Alu-Dosen und weggeworfene Verpackungen. Aufgefundene PET-Getränkeflaschen stecken sie auf dem Heimweg beim Volg in die Sammelbox. In der Fasnachtszeit sind die fünf Freunde häufiger unterwegs. Im Sommer sind sie auch mit ihren Hobbys von Fussball bis Schwimmen engagiert. Von Vorteil ist, dass es im idyllischen Hägglingen keinen Durchgangsverkehr gibt, sodass die Eltern die Jungs beruhigt auf Fötzeltour gehen lassen können. Ihre Motivation holen sich die fünf aus ihrem Bewusstsein für Fremdstoffe, welche das Ortsbild verschandeln, vor allem aber die Umwelt belasten. Vom Preisgeld, das sie in Anerkennung für ihre Engagement im Rahmen des IGORA Umweltpreiseses erhalten haben, soll ein Teil gespendet werden. An eine Igelstation, die den jungen Naturbegeisterten am Herzen liegt.